Festschrift

Zu seinem 75. Geburtstag am 6. September 1950 von Professor Arnold Ebel

Wer im überfüllten Saale der Städtischen Musikbücherei in Berlin in einer Veranstaltung des „Berliner Tonkünstlervereins“ am 24. Juni 1950 den bekannten Gesangspädagogen, Kammersänger Dr. med. Jean Nadolowitsch, in seinem Vortrag „Das Gesetz der Morphokinese und des antagonistischen Synergismus im Dienste der modernen Stimmbildung“ hörte, der war gefesselt durch die Frische und Lebendigkeit, mit der der Vortragende die schwierigen Fragen der Stimmphysiologie, der Anatomie, der Atemtechnik und der Gesangspädagogik behandelte.

Es gibt Gelehrte in hohem Alter, die schon durch ihre ehrwürdige Erscheinung einen tiefen Eindruck erzielen Aber gerade in unserer Zeit haben wir viele Beispiele, daß Persönlichkeiten in höherem Alter durch ihre ungebeugte Lebenskraft überraschen. Wer Jean Nadolowitsch an diesem 24. Juni erlebte, konnte sicher nicht vermuten, daß ihm nach wenigen Monaten schon diese Festschrift zum 75. Geburtstag des Meisters überreicht würde.

Uns, die wir diese kleine Festgabe vom Vorstand und Beirat des „Berliner Tonkünstler Vereins“ auf den Gabentisch unseres verdienstvollen Beiratsmitgliedes legen, ist es eine Freude und eine Ehre zugleich, dem großen Meister des Gesanges, dem erfahrenen Lehrmeister des Belcanto und dem erfolgreich forschenden Wissenschaftler die Glückwünsche seiner Berufsgenossen, der Deutschen Tonkünstler und Musikerzieher, auszusprechen.

Solche Worte schreiben sich bei einem so schönen Anlaß so leicht, wenn es gilt, einer in der Öffentlichkeit bekannten und geschätzten Persönlichkeit die kalendermäßig fällige Anerkennung auszusprechen. Sie erhalten aber erst Wert und Gewicht, wenn sie begründet sind in enger beruflicher Zusammenarbeit und getragen sind von einer persönlichen Verbundenheit, die den gleichen künstlerischen und ethischen Quellen entstammt.

Als ich als Student in Berlin vom hohen Olymp der „Komischen Oper“ herab zum ersten Male Jean Nadolowitsch als Hoffmann in der durch Gregor zu neuem Leben erweckten Offenbachschen Oper „Hoffmanns Erzählungen“ erlebte, erfaßte mich dieselbe Begeisterung, ja ich darf sagen: die gleiche ungeheure Exaltation, die Abend für Abend die Zuhörer zu stürmischen Kundgebungen hinriß! Noch heute muß ich darüber staunen, wie wir armen Studenten es ermöglichten, diesen großen Sänger und Darsteller nicht nur in allen seinen Rollen, nein, ihn in allen Werken zu wiederholten Malen zu hören.
Nach dem ersten Weltkrieg, 1930, wurde ich als Nachfolger von Adolf Göttmann Vorsitzender des „Berliner Tonkünstler Vereins“. In unserer Mitgliederliste fand ich auch den Kammersänger Jean Nadolowitsch verzeichnet, und ich weiß noch genau, wie ich im Anschluß an eine der ersten von mir geleiteten Mitgliederversammlungen zu ihm trat, um ihm zu sagen, daß mir die Zeit seines Wirkens an der „Komischen Oper“ unvergessen sei und bis an mein Lebensende unvergessen bleiben werde. Ich glaube, daß diese Mitteilung ihn damals erfreute, aber ich bin überzeugt, daß dieses Bekenntnis ihn auch heute wieder freudig stimmen wird, da es ihm beweist, daß die Nachwelt dem Mimen doch Kränze windet!

Wenn wir in unserer Vereinsgeschichte auf die Jahre von 1930 bis 1933 zurückblicken, so werden unsere Mitglieder, die diese erfolgreichen Jahre unserer Verbandsarbeit miterlebt haben, sich der Mitarbeit unseres Mit-gliedes Jean Nadolowitsch dankbar erinnern. In den Tagen schwerer Kämpfe um ausschlaggebende Fragen der Musikerziehung und um entscheidende Fragen der Musikpolitik war es sein Feuergeist, der in unseren Versammlungen die Forderungen nach einer fortschrittlichen Entwickelung immer wieder mit Nachdruck unterstützte! Nach 1945 stellte er seine Arbeitskraft und seine reife Erfahrung erneut in den Dienst unseres Berufsverbandes. Er gehört seit der Neugründung unseres seit 1844 bestehenden ,,Berliner Tonkünstler Vereins“ dem Beirat an, und wir verdanken seiner Mitarbeit wertvollste Anregungen und unserem Aufbau großzügigste materielle Förderung! Mit dieser kleinen Festschrift, die wir trotz der Fülle des uns vorliegenden Materials aus Sparsamkeitsgründen auf wenige Seiten beschränken mußten, will der „Berliner Tonkünstler Verein“ seinem Beiratsmitglied, dem Kammersänger Dr. med. Jean Nadolowitsch, seine Dankbarkeit bezeigen. Wenn wir die Musikwelt auf den 6. September 1950 aufmerksam machen, so wissen wir, daß sich unsere herzlichen Glück- und Segenswünsche mit denen seiner vielen Schüler und mit den Wünschen ungezählter Verehrer seiner großen Gesangskunst vereinigen!

Professor ARNOLD EBEL
Vorsitzender des „Berliner Tonkünstler Vereins“
( Berlin, 06. September 1950 )