Hilde Nadolowitsch

EIN LEBEN FÜR DEN GESANG

Ein Nachruf auf Hilde Nadolowitsch

( 29.12.1901 – 09.11.1992 )

Unsere Lehrerin ist von uns gegangen, still und bescheiden, fast unauffällig hat sie die Wirkungsstätte verlassen, an der sie stets bemüht war, das Lebenswerk ihres Mannes, Kammersänger Dr. med. Jean Nadolowitsch, einst gefeierter „Hoffmann“ der Komischen Oper (Hans Gregor holte ihn zur Eröffnungsvorstellung am 17. November 1905 nicht zuletzt wegen seiner frappanten Ähnlichkeit mit E. T. A. Hoffmann), fortzuführen. Als Mediziner arbeitete er zeitlebens an der Ergründung der stimmphysiologischen Vorgänge beim Singen, die er in seinen berühmten „Donnerstagsvorträgen“ einem großen Kreis von Gesangsschülern und Stimmenthusiasten, Ärzten und Pädagogen temperamentvoll nahebrachte. Berühmt waren seine Stimmdiagnosen, die er von der Physiognomie und dem gesamten Körperbau des Kandidaten ableitete.


Hilde Nadolowitsch wurde am 29. Dezember 1901 als Tochter eines Apothekers in Salzwedel geboren. Ihre Liebe zur Musik wurde im Hause ihres Onkels geweckt, wo sie, am Klavier von ihrer Tante begleitet, Lieder und Duette von Schubert, Mendelssohn und Brahms mit Begeisterung sang und natürlich auch selbst Klavier spielte. Ihre musikalische Ausbildung erhielt sie in Berlin und traf dort auf den Sänger und Mediziner Dr. Jean Nadolowitsch, der im Jahre 1917 sein „Institut für angewandte Atem- und Stimmphysiologie“ gegründet hatte. Seine Gesangslehre faszinierte sie derart, daß sie nach eigener Lehrtätigkeit an einer der ersten Musikschulen Berlins (unter Lothar von Knorr im Fach Stimmbildung und Chorerziehung) Assistentin des hochgeschätzten „Meisters“ Nadolowitsch wurde. Ihr zurückhaltendes, bescheidenes Wesen war wohl auch der Grund, daß sie den ursprünglichen Plan, Bühnensängerin zu werden, aufgab, um sich gemeinsam mit ihrer Kollegin Ilse Braune ausschließlich dem Institut Nadolowitsch zu widmen. Ab dem Jahr 1938 mußte die Arbeit illegal durchgeführt werden. Als dann der fast Siebzigjährige 1944 nach Theresienstadt verschleppt wurde, führten die beiden Frauen das Gesangsstudio weiter und versorgten den Häftling aufopfernd mit Nahrung. Als Nadolowitsch 1945 zurückkehrte, heiratete er seine ehemalige Assistentin. 1950 wurde das Institut als „Internationales Privatinstitut für angewandte Atem- und Stimmphysiologie, Gesangspädagogik und Belcanto“ behördlich anerkannt. Groß war die Zahl von Schülern, die hier bis zur Bühnenreife ausgebildet wurden. Ausserdem wurden stimmphysiologische Korrekturen durchgeführt und Ärzten sowie Stimmbildnern Gelegenheit gegeben, diese umfassende Lehre kennenzulernen. In den damals regelmäßig vom „Berliner Tonkünstlerverein“ veranstalteten Gesangs-Vortragsabenden fehlten das Ehepaar Nadolowitsch und seine Schüler nie. Nach dem Tode von Jean Nadolowitsch im Jahre 1966 führte sie das Institut allein weiter. Es waren sicherlich starker Wille, Selbstdisziplin und beruflicher Idealismus, die ihr bis ins hohe Alter erlaubten, täglich bis zu sieben Stunden Gesangsunterricht zu geben, wobei sie meist selbst am Klavier begleitete. Sie war stets bemüht, nicht nur begabten Sängernachwuchs, sondern den ganzen Menschen zu formen. Ihr Einfühlungsvermögen und ihre Hilfsbereitschaft gaben den jungen Sängern volles Vertrauen, wobei sie für jeden ihrer Schüler einen individuellen Weg fand. Bis ins hohe Alter blieb sie ein hochgeistiger Mensch, interessiert an Politik, Forschung, Literatur und Sport.

Im Alter von einundneunzig Jahren wurde Hilde Nadolowitsch in eine Welt abberufen, an die sie zeitlebens glaubte.


Ihre Schüler haben nicht nur ihre Lehrerin, sondern auch einen Menschen verloren, der in jeder Hinsicht ein Vorbild war.

ANKA SOMMER
Ks. GISELA SCHRÖTER
Ks. CHRISTINA HAGEN
LOTHAR TROJANDT